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Herbstspaziergang mit Wildschwein und Hundegebell

Allerheiligen ist die Zeit der Abschiedsgeschichten und Erinnerungen. Mich hat der heutige Tag mit einer Erstbegegnung überrascht. Aber nicht nur. Der Hund hat nämlich gebellt.

Für einen Novembertag könnte dieser Erste mit Sonnenschein und 14 Grad kaum perfekter sein. Ich hatte pferdefrei und Zeit für einen ausgiebigen Spaziergang. Es war eigentlich schon mehr eine Wanderung und wir sind ein Ehepaar mit Hund, unterwegs im bunt leuchtenden Wienerwald. Die Labradorin liebt es, wenn wir mit ihr durch den Wald gehen. Da wirkt sie gleich noch ein paar Jahre jünger. Geridex und Waldspaziergänge – das ist der ultimative Jungbrunnen.

Mit dem Betreten des Waldes hat sich die Labradorin ein dickes Holz geschnappt und ist zufrieden hinter uns her gegangen. Auf einem Pfad abseits der frequentierten Wege haben wir uns Richtung Graben bewegt als es plötzlich raschelte. Wir sind also stehen geblieben, auch der Hund, und haben uns orientiert. Schon ist knapp vor uns – mehr als zehn Meter, aber sicher unter 20 Meter – ein mächtiges Wildschwein aus dem Gebüsch getrabt und noch eins, und noch eins, und noch eins. Bei 21 habe ich aufgehört zu zählen und zur Kamera gegriffen. Aber dann bin ich doch wieder eingefroren und habe nach dem Hund geschaut, der ebenfalls starr ausgeharrt hat, während große, kleine, mittlere, mächtige und schmächtige Wildschweine in Reih und Glied vor uns den Weg querten. Sie haben uns sicher gesehen, zumindest die großen, aber nicht beachtet. Aus ihrer Sicht haben sie uns quasi links liegen gelassen.

Seit genau 21 Jahren lebe ich in Wien und kenne die Spuren im Wald. Ich weiß, dass sie da sind. Begegnet bin ich ihnen nie zuvor. 30 oder mehr Wildschweine später, wir haben uns langsam wieder getraut uns zu bewegen, hat der Hund mit seinem dicken Holz im Maul zweimal „Wuff“ gemacht. Dazu muss gesagt werden, dass die Labradorin so gut nie bellt. Gefühlt bellt sie einmal jährlich, um zu zeigen, dass sie es kann. Außerdem dann, wenn ihr etwas sehr unheimlich ist. Zweimal Bellen bedeutet demnach sehr, sehr unheimlich. Und das war es irgendwie ja auch.

An Allerheiligen einer Rotte Wildschweine zu begegnen, die wie eine Karawane durch den Graben vor dir zieht, hat durchaus etwas Mystisches. Jedenfalls war die Überraschung groß genug, um mich am Fotografieren zu hindern, wo ich doch sonst immer mein Smartphone griffbereit habe. Ich tröste mich nun damit, dass es einfach schön ist, die Tiere, die Natur und die Begegnungen einfach so zu genießen. Ohne Jagd nach dem perfekten Bild.

Ein, zwei Kilometer später, der Hund hatte sein Holzstück immer noch im Maul, wir hatten gerade ein trockenes Bachbett durchquert, kam uns ein sehr alter Labrador entgegen. Die beiden Seniorinnen an seiner Seite haben sichtlich freudig erzählt, dass ihr Hund früher auch Holz nach Hause getragen hätte. Jeden Tag ein Stück, so wurde uns erklärt. Und stolz hinzugefügt, dass der Labrador demnächst 17 Jahre alt wird, was uns dann schon sehr beeindruckt hat. Denn wir waren mitten im Wald und kein Haus weit und breit, was bedeutet, dass der betagte Hund zwar langsam, aber eigenständig hierher mitten in den Wald gekommen war und wohl auch wieder zurückkehren würde.

Einige Wegbiegungen danach begegneten wir meiner Laufgefährtin aus Halbmarathonjahren, die ich schon vor einigen Jahren völlig aus den Augen verloren hatte. Sie konnte nicht glauben, dass es den Hund von damals immer noch gibt, womit sie natürlich richtig lag. Denn es war die Vorgängerin, die mich seinerzeit begleitete und die ihren 14. Geburtstag knapp nicht erlebt hat. Womit wir nun doch beim Sterben angelangt sind, an diesem 1. November, dem Allerheiligentag. Die Labradorin hat das dicke Holzstück übrigens doch nicht mit nach Hause genommen. Was in ihrem Alter bestimmt angemessen ist.

Schlagworte: Alter / Bewegung / Geriatrie / Hund / Verhalten

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