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Die Mimik des Hundes

Niemand kann schuldbewusster dreinschauen als mein Hund. Jedenfalls ist das in meinem Tieruniversum so.

Die Labradorin neigt dazu selbst ohne Anlass schuldbewusst ihren Blick zu senken. Das würde der Katze nie passieren. Der Stute ebensowenig, die ist stolz und manchmal unnahbar. Am ehesten schaut das Jungpferd schuldbewusst. In der Regel gibt es dann auch einen guten Grund. Er ist ein ziemlicher Flegel. Etwa, wenn er den Zippverschluss an meiner Jacke auffrisst (bzw. es versucht), meine Lieblingsgerte tot beißt oder mir die Mütze vom Kopf zieht.

So frech war und ist die Hunddame nie. Das kann ich mit großer Bestimmtheit so sagen. Ihr ganzes Leben hat deswegen auch noch nie jemand so richtig geschimpft mit ihr. Sie war ja immer eine Musterschülerin. Na gut, dann und wann haben wir ein wenig gekeppelt, weil sie wieder irgendetwas gefressen hatte. Und als sie zuletzt die gefrorenen Pferdeäpfel verspeist hatte und anschließend mit einer Wurmmittelvergiftung darniederlag, war ich viel mehr besorgt als verärgert*. Sie hatte auch nie etwas gestohlen, so wie ihre Vorgängerinnen, die diesbezüglich recht skrupellos vorgegangen sind.

Die Rottweilerin – sie war meine zuckersüße erste Hundeliebe – hatte beispielsweise 30 Bioeier, die ich von den Freilaufhühnern am Bauernhof meiner Oma bekommen hatte, fein säuberlich geknackt und ausgeschlürft während ich noch ein paar Abschiedsworte ausgetauscht habe, die zugegeben etwas länger ausfielen. Ich musste auch noch kurz im Kälberstall vorbeischauen und das Letztgeborene knuddeln, das so wie alle Kälber innig an meiner Hand geschleckt hatte. Jedenfalls waren die Eischalen fein säuberlich ausgeschleckt und keine Sauerei im Kofferraum, selbst am nächsten Morgen bei Tageslicht nicht. Alle Spuren sorgfältig vernichtet und kein einziges Frühstücksei für mich. Später hat sie sich mit den Hühnern am Pferdehof angefreundet und ist mit dem Pfau über das Stalldach spaziert (das von der Böschung bequem zu betreten war). Möglich, dass die Liebe zum Ei in einer Liebe zum Federvieh mündete. Doch zurück zur Mimik. Die Rottweilerin guckte keinesfalls betreten, vielmehr war sie glücklich und hat ein wenig so dreingeschaut als hätte sie Gras geraucht statt Eier geschlürft – selig und im Einklang mit der Welt. Dabei hat sie intensiv mit dem Schwanz gewedelt, sodass der ganze Rottweiler gewackelt hat wie einst Puh der Bär beim Stepptanz.

Mein nächster Hund war ein Sozialfall, vom Besitzer verstoßen und angebunden an einem Laternenpfahl. Wir haben sie Fini, das Findelkind getauft. Ihr Überlebenswille war so groß wie die ihre Sprungkraft, und sie hat es locker ohne Anlauf auf Küchenablagen und Tische geschafft. Kein Topf war vor ihr sicher. An der Gusseisenpfanne von der Großmutter meines Mannes ist der Griff irreversibel abgebrochen. Trotzdem verwenden wir die Pfanne heute noch. Wir denken nun nicht nur an die Großmutter, wenn wir sie verwenden, sondern auch an Fini, den Findelhund. Mimisch hat sie uns eher an einen schlauen Fuchs erinnert. Oder an ein Frettchen. Listig, um nicht zu sagen hinterlistig.

In dieser Zeit (mit Fini) hatten wir dann und wann einen Gasthund übers Wochenende. Das Wochenende zog sich bisweilen von Donnerstag bis Montag Abend. Fritzi – was für ein harmloser Name für einen Hund, dessen Kopf an den eines Kalbes erinnert! – war eine Bordeauxdogge (siehe Foto) und hatte überhaupt kein Problem sein Kinn waagrecht auf den Esstisch zu legen und dabei direkt in den Teller zu schauen während wir aßen. Unter dem Tisch bildete sich eine Pfütze, die stetig größer wurde. Der Hund war größer als das Shetlandpony, das wir dem Esel als Weggefährten beigestellt hatten. Schließlich sollte er nicht als einsamer Esel alt werden, der seinen Stall lediglich mit Schafen teilte. Am Ende hätte er noch geblökt. Fritzi hat also das Esszimmer vollgesabbert und dabei genauso dreingeschaut wie E.T. – ein wenig außerirdisch und recht verloren. Im jeweiligen Film waren sowohl Fritzi wie auch E.T. überaus beliebt, für letzteren gab es sogar einen Oscar.

Apropos Oskar! Da kenne ich einen, der praktisch alles stiehlt, was in einem Hundebauch verschwinden kann. Ganze Kuchen – fallweise sogar bevor sie ins Rohr geschoben werden –, Hühnchen mit und ohne Knochen (bislang ohne zu ersticken), Grünzeug, Obst, Gemüse und Abfälle, die nicht unmittelbar entsorgt werden. Oskar ist zu dick und schaut immer glücklich drein. Er ist eine wahre Frohnatur und zieht auch gerne jeden, der am anderen Ende der Leine hängt dahin, wo er Essbares vermutet.

Mein erster Labrador hat nach einer Operation im Aufwachraum der Tierklinik bereits den dort platzierten Futtersack angeknabbert bevor er noch wach war, geschweige denn stehen konnte. Davon sprechen die heute noch in der Klinik und lagern seither kein Futter mehr in Reichweite von am Bauch robbenden Hunden. An die zufriedene Mimik des Hundes erinnert sich ziemlich sicher niemand mehr außer mir.

Unsere Labradorin ist was das betrifft wirklich mustergültig. Warum sie manchmal so dreinschaut als trüge sie die Last dieser Welt auf ihren Schultern, erschließt sich uns nicht. Meistens schaut sie aber recht glücklich drein, worüber wir froh sind. Und immer wieder verblüfft sie uns mit ihrer Mimik und der damit verbundenen Klarheit. Sie sagt uns wenn sie raus muss, wenn sie nicht zu den Pferden mitkommen will, weil es im Stall zu kalt ist oder wenn sie auf dem Sofa liegen möchte. Auch wenn sie beim Schlafengehen mit einem einzigen Blick zu ihrem Hundekorb darum bittet, ihr das Bett zu richten. Das ist schon ziemlich beeindruckend, finde ich.

Dass Hunde ihre Mimik – darunter den sprichwörtlichen Dackelblick – gezielt zu Kommunikationszwecken einsetzen, belegt übrigens eine Studie im Nature-Fachmagazin. Hier geht’s zur Studie.

 

*Siehe Beitrag GEFRORENES IM MAGEN DES HUNDES

Photo by David White on Unsplash

Schlagworte: Haltung / Hund / Spiele / Verhalten

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